elfenbeinturm.net
fundiert
Impressum
Archiv
Der Jordan auf dem Weg zum Toten Meer
Alle Abbildungen: Seminar für Katholische Theologie

„Wer hat die Wasser in ein Gewand gebunden?"

Zur Bedeutung des Wassers in der jüdisch- christlichen Überlieferung und Tradition


von Matthias Blum

Wasser hat aufgrund seiner natürlichen Qualitäten in den Religionen eine besondere Bedeutung: Oft gilt es als Aufenthaltsort von Göttern, Geistern und anderen Mächten oder wird selbst als Objekt verehrt. In vielen religiös-mythologischen Erzählungen über das Entstehen der Welt symbolisiert der Stoff Wasser den Zustand vor der Schöpfung beziehungsweise den Grund allen Seins. Die Welt entsteht aus dem Meer, welches die anderen kosmischen Elemente hervorbringt. Als Quelle allen Lebens ist Wasser damit lebensspendendes Ordnungsprinzip. Demgegenüber steht Wasser als zerstörerische Chaosmacht, die die Welt mit Katastrophen (Sintflut) heimsuchen und entsprechend auch Leben gefährden kann; Meere und Ozeane werden als abgründige Heimstatt des Bösen angesehen.

Vor dem Hintergrund der lebensspendenden Macht des Wassers können Quellen, Seen und Bäche als Orte der Heilung und Fruchtbarkeit gelten, der Glauben an Wassergeister und Wassergottheiten oder gar die Dämonisierung des Wassers selbst zeugen hingegen von der Annahme eines lebensbedrohlichen Aspektes. Im Christentum spendet Wasser als Medium in der Vermittlung von geistigen Kräften vor allem aber Segen: Seelisch-geistige Reinigung, Erneuerung und Erlösung, etwa im Sakrament der Taufe beziehungsweise allgemein als Weihwasser. Hinter dem erlösenden Aspekt des Wassers steht die Urerfahrung der Katharsis, der Reinigung, der Heilung durch Waschung. Pilgerfahrten zu wundertätigen Quellen und Brunnen zeugen von der Heilserwartung an das Wasser; im Badewesen war das Aufsuchen heilkräftiger Bäder im Spätmittelalter vor dem Auftreten der Syphilis gängige Praxis. Wasser, zu heiligen Zeiten (Weihnachts-, Osternacht etc.) aus einem Fluss oder Brunnen geschöpft, hieß im Mittelalter und später Heilwag. Mit Heilwag wurden Haus und Hof, Weinberge und Felder besprengt, man gab es an Speisen oder trank es. Auch das medizinische Vertrauen in die Heilkraft des Wassers lebt, vermittelt durch die Pastoralmedizin (Pfarrer Kneipp), in der Hydrotherapie fort.

Vom lebensspendenden sowie lebensbedrohenden Aspekt des Wassers zeugen die Schriften der Bibel. In dem ersten Buch der Bibel, der Genesis, erfolgt aus dem Wasser, über welchem der Geist Gottes schwebt, die Schöpfung. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser ... Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Erde von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel ... Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung im Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war“ (Genesis 1; Luther-Übersetzung).

Nach dieser Schöpfungsgeschichte gilt das Wasser nicht als geschaffen, es liegt der Schöpfung vielmehr in Gestalt des Meeres als Materia Prima voraus. Die uns überkommenen biblischen Schöpfungstexte sind noch von der Herkunft der Schöpfungstheologie aus dem Mythos geprägt. Der Schöpfungsmythos ist nicht die „Ausfabulierung eines vorgeschichtlichen, de facto allem Wissen entzogenen Zeitraumes, in dem erste Ursachen bestimmt oder die Prototypen gegebener Weltphänomene auf Gott (oder die Götter) zurückgeführt werden.“ Seine Aufgabe ist vielmehr, „die Tiefendimension der gegenwärtigen Erfahrungswelt auszusagen und diejenigen Grundgegebenheiten und Grundbestimmungen freizulegen, die für Welt und Mensch im Ganzen immer schon gelten (O. H. Steck)“. Genesis 1 ist inspiriert durch das Bild einer jährlich überschwemmenden Flussebene (Nil in Ägypten oder Euphrat und Tigris in Mesopotamien), aus der die Erdscheibe auftaucht und auf der dann Vegetation zu sprießen beginnt und die Bevölkerung mit Tieren und Menschen einsetzt. Gegenüber dieser ersten Schöpfungsgeschichte (Genesis 1,1 bis 2,4a) setzt die zweite Schöpfungsgeschichte der Bibel (Genesis 2,4b bis 3,24) mit der trockenen Steppe und dem völlig ausgetrockneten Ackerboden als „Chaos vor der Schöpfung“ ein, so als hätte es die Wasserfülle von Genesis 1 nie gegeben. Ob die Scheidung der Wasser in obere und untere Wasser in Genesis 1, also oberhalb des Firmaments und unterhalb der Erde, in Zusammenhang mit dem babylonischen Mythos gebracht werden kann, bleibt fraglich. Nach diesem Mythos befindet sich der Schöpfer Marduk in einem kosmologischen Kampf mit dem schließlich in zwei Teile gespaltenen weiblichen Wasserdrachen Tiamat. In der so genannten Urgeschichte am Anfang der Bibel erfolgt auf die Schöpfungsgeschichten bald die Erzählung über die Bewahrung der Welt und der Menschheit vor der vernichtenden Flutkatastrophe (Genesis 5,1 bis 9,29), in der die bedrohliche Seite des Wassers deutlich wird. Die mythische Thematisierung einer weltweiten Flut gehört zum religionsgeschichtlichen Erbe der Menschheit. Die erzählerische Dramatik der Sintflutgeschichte in der Genesis ist auf die Grundspannung zwischen der Gefährdung und Wiederherstellung der Schöpfung hin komponiert – narrativ entfaltet an der Rettung Noahs aus dem Untergang der Menschheit.

Dass die Flutschilderung selbst wenig Raum beansprucht, ist ein Hinweis, die Aussageabsicht des Textes in den Passagen vor und nach der Flut zu suchen. Am Gipfelpunkt der Flut ereignet sich die rettende Wende durch die Erinnerung Gottes. Gott verpflichtet sich selbst, die Stabilität der Schöpfungsordnung nie mehr aufzuheben, obwohl die Bosheit der Menschen notorisch bleibt. Die bedrohliche Seite des Wassers zeigt sich für den biblischen Menschen auch in der Symbolisierung des Meeres durch Chaos und Tod. Das unergründliche Meer galt als lebensbedrohliche Macht (Jesaja 17), als Ursprung des Bösen (Psalm 104) und der Ungeheuer (Jesaja 27: Drache). Das Meer ist Sinnbild des Totenreiches (Ezechiel 26) und wird in der kommenden Welt nicht mehr existieren (Apokalypse 21). Das Meer wird für Jona zum Grab (Jona 2,7).


Jona wird vom Wal an Land gespieen, Miniatur in einer Bibel
aus dem Papstpalast von Avignon, Montpellier


Paulus erleidet auf seinen Fahrten über das Mittelmeer Schiffbruch (Apostelgeschichte 27; 2 Kor 11,25). Die den Osterglauben voraussetzenden Erzählungen von Jesu Stillung des Seesturmes (Markus 4,35 bis 41) und seinem Gang über das Wasser (Markus 6,45 bis 52) erinnern an die erste Heilserfahrung des Volkes Israel, die Durchquerung des Roten Meeres (Exodus 14); immer geht es um die Überwindung der „Wasser des Todes“. Gegenüber der bedrohlichen Seite der großen Wasser bedeuten die sprudelnden Wasser der vielen Quellen des Jordans und der kleinen Wasserfälle Leben und Fruchtbarkeit; dies gilt ebenfalls für das fischreiche Wasser des Sees Gennesaret (auch Kinneret, Galiläisches Meer oder See von Tiberias genannt). Die symbolische Bedeutung des Jordans wird noch verstärkt durch den Kontrast zur Judäischen Wüste, an der er vorbeifließt, und zum Toten Meer, in das er mündet. So sieht der Prophet Ezechiel in einer Vision eine Quelle, die unter der Tempelschwelle entspringt. Diese symbolisiert den Segen Gottes, der von dem Heiligtum ausgeht. Dem Wasserlauf folgend, sieht Ezechiel, wie der Fluss durch die Judäische Wüste fließt und das Tote Meer erreicht. „Wohin der Fluss kommt, dort bleibt alles am Leben“ (Ezechiel 47). Auch in der Geschichte des aussätzigen Syrers Naaman erscheint der Jordan als Fluss des Lebens. Aufgefordert, sich sieben Mal im Jordan zu waschen, wurde sein Leib gesund, wie der Leib eines Kindes (2. Könige 5). Der heilenden Kraft des Wassers steht unter den Erkrankungen die Wassersucht gegenüber, für die im Neuen Testament eine antike medizinische Bezeichnung gebraucht wird (hydrops, hyderos; Lukas 14,2). Die Symptome Durst, aufgedunsener Leib und versiegende Harnausscheidung, die auf zuviel Wasser im Körper zurückgeführt werden, werden von griechisch-römischen Ärzten mit Harn treibenden Medikamenten, Abführmitteln, Schweiß treibender Gymnastik und Punktion behandelt. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus (37/38 bis etwa 100 nach Christus) deutet in Auslegung von Numeri 5,11 ff. Wassersucht als Strafe Gottes für Ehebruch (Antiquitates Judaicae III,273). In einem regenarmen Land wie Palästina, in dem Regen fast ausschließlich aus dem Verdunstungsreservoir des Mittelmeeres kommt und auf die winterliche Jahreszeit beschränkt ist, ist die Bedeutung des Wassers evident. Mehrfach wird Gott als Spender des Regens bezeichnet, wie etwa in Psalm 29, dem der Wetterumschwung im Herbst zugrunde liegen dürfte, wenn der Frühregen einsetzt. Mit dem Regen verbunden ist das Laubhüttenfest. In der Zeit des Zweiten Tempels war es ein Fest des Wassers, das nach der Ernte im Herbst gefeiert wurde. Bestimmte Tempelrituale sollten der Sicherung der beginnenden Regenfälle dienen. Etwa 300 vor Christus heißt es bei Deutero-Sacharja, dass derjenige keinen Regen bekommt, der nicht zum Laubhüttenfest nach Jerusalem pilgert (Sacharja 14). Wasserarmut und Wasserknappheit forderten ebenfalls zu einer besonderen Wasserversorgung heraus. Fehlende Quellen und Brunnen machten das Sammeln von Oberflächenwasser in Teichen und Zisternen für antike Siedlungen erforderlich; verschiedene Systeme stellten die Wasserversorgung befestigter Siedlungen, deren Quellen außerhalb des Mauerringes lagen, auch in Belagerungsfällen sicher (Felsstollen mit Treppen oder Felsschacht mit anschließendem Tunnel). Seit herodianischer Zeit war die Zuführung von Frischwasser – zumindest in Friedenszeiten – durch Kanäle, Druckleitungen oder gegebenenfalls Aquäduktbrücken auch über eine längere Distanz möglich. Die Allgegenwart des Wassers zeigt sich über die reine Wasserversorgung hinaus in der Qumran-Siedlung. In Khirbet Qumran („Ruine des grauen Flecks“) auf der Mergelterasse am Nordwest-Ufer des Toten Meers, mit deren Bezeichnung sich vor allem umfangreiche Textfunde in elf der umliegenden Höhlen verbinden (Entdeckung etwa 1947), hatte sich seinerzeit die Gemeinschaft der Essener niedergelassen. Trotz erster Besiedlungsspuren in der frühen Königszeit (achtes bis siebtes Jahrhundert vor Christus) setzte ein umfangreicher Ausbau in Form von großen Wasserbecken und Hofanlagen mit Wirtschaftseinrichtungen und Küchenkomplex erst gegen Ende des zweiten Jahrhunderts vor Christus zur Zeit des Johannes Hyrkan (135 bis 104 vor Christus) ein, bis die Anlage unter Alexander Jannai (103 bis 76 vor Christus) von der essenischen Gemeinschaft zu einem Gemeindezentrum umgestaltet wurde. Die Zerstörung durch ein Erdbeben 31 vor Christus schränkte die Nutzung der Anlage vorübergehend stark ein, bis sie endgültig 68 nach Christus durch die Römer zerstört wurde. Die erste Wasserversorgung erfolgte über eine runde Zisterne (achtes bis siebtes Jahrhundert vor Christus), um die herum zwei rechteckige Zisternen mit Stufen angelegt wurden, um dort Oberflächen- und Regenwasser zu sichern. Angesichts der schwankenden und unregelmäßigen Niederschläge (50 bis 200 Millimeter pro Jahr) musste die Speichermenge des Wassers durch eine bessere Nutzung des Oberflächenwassers und den Bau eines Aquäduktes erhöht werden; dies erfolgte in Form einer flach in den Boden gegrabenen und durch den Fels getriebenen Rinne. Dabei wurde das Wasser aus einer Schlucht zwischen zwei Wasserfällen über einen Höhenunterschied von insgesamt 200 Metern bis an die Qumran-Siedlung herangeleitet. Der Aquädukt wurde dabei zum Kernstück eines Wasserversorgungssystems, das über ein Netz von Kanälen im gesamten Ort Becken und Zisternen speiste.


Aquädukt von Qumran (etwa 800 Meter lang)

Identische Systeme zur Wasserversorgung finden sich in mehreren Festungen der Wüste von Judäa. Das Wassersystem in der Qumran-Siedlung diente jedoch nicht nur der Trinkwasserversorgung der Gemeinde, sondern sollte auch das notwendige Wasser für die Reinigungsriten zur Verfügung stellen. Hintergrund der qumran-essenischen Reinheitsriten ist das alttestamentlich-jüdische Verständnis von Reinheit, Unreinheit und der Ermöglichung, durch einen Wasserritus rituelle Reinheit zu gewinnen. Entsprechend finden sich die Hauptquellen der Unreinheit in Übereinstimmung mit der alttestamentlichen und allgemein frühjüdischen Tradition: Unreinheit nach Pollution, Notwendigkeit der Reinigung der Mutter nach der Geburt, Unreinheit bei Hauterkrankungen und bei Berührung von Toten. Die Teilnahme am Gemeinschaftsmahl setzte eine tägliche Reinigung der Essener nach der Arbeit voraus: durch Umlegen eines Leinentuches und Waschen des Körpers mit kaltem Wasser. Einem Novizen war erst nach einem Erprobungsjahr die Teilnahme an reineren Läuterungsbädern gestattet. Die Wirksamkeit dieser Wasserriten hing jedoch auch von der Bereitschaft zur Umkehr ab. Dieser Zusammenhang zwischen Tauchbad und Sühne wird oft in Verbindung mit der Johannestaufe gebracht, predigte und übte Johannes der Täufer nach dem Markusevangelium doch eine „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Markus 1,4). Da die Bußtaufe des Johannes jedoch als ein einmaliger, nicht wiederholbarer Akt zu verstehen ist, dürfte die Johannestaufe nicht aus den Wasserriten der Qumran-Essener ableitbar sein.

Für die ersten Christusgläubigen wird in der Taufe das neue Sein in Christus auf eindrucksvolle Weise deutlich. So heißt es in der (vermutlich vorpaulinischen) Taufformel: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht männlich und weiblich, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Galater 3,27 f.). Die Gläubigen haben durch die Taufe Christus angezogen wie ein den Menschen umhüllendes Gewand analog zu dem Wasser, welches sich während der Taufe beim Hinein- und Untertauchen um den Menschen wie eine zusätzliche Haut legt. Dabei ist nicht an einen äußerlichen Überwurf, sondern an einen seinsverwandelnden Prozess zu denken. Diese Bekleidung mit Christus schafft einen neuen Zustand, der die bisher bestehenden irdischen Unterschiede relativiert. Das feierliche rituelle Taufbekenntnis dürfte als eine wirkmächtige Proklamation verstanden worden sein, die eine tatsächliche Umwandlung der Wirklichkeit beansprucht und damit eine grundlegende Änderung der sozialen Rollen. Die Gesten des Entkleidens, Untertauchens und Sich-Neu-Kleidens betonen dabei noch die Wirkmächtigkeit dieser Proklamation. In der Traditio Apostolica (Entstehungsort: vermutlich Rom. Autor: vermutlich Hippolyt, etwa 170 bis 235), der unter den überlieferten Kirchenordnungen eine besondere Bedeutung zukommt und die eine der ersten Versuche der Regelung des christlichen Gemeindelebens darstellt, findet sich eine ausführliche Taufordnung. Dort heißt es einleitend zur Spendung der heiligen Taufe (21): „Zur Zeit des Hahnenschreis soll man zunächst über das Wasser beten. Es soll Wasser sein, das aus einer Quelle fließt oder von oben herabfließt ... Die Täuflinge sollen ihre Kleider ablegen, und zuerst soll man die Kinder taufen ... Danach soll man die Männer taufen, anschließend die Frauen, nachdem sie ihr Haar aufgelöst und ihren Gold- und Silberschmuck abgelegt haben. Niemand soll einen fremden Gegenstand mit ins Wasser nehmen.“ Hier wird der Normalfall eines festen Tauftermins für eine Gruppe von Täuflingen in der Osternacht beschrieben, nicht der Ritus einer Einzeltaufe. Das Krähen des Hahnes zeigt nicht nur den Beginn des Tages an, sondern hat auch apotropäische Bedeutung: Es vertreibt die Dämonen. Das Gebet über das Wasser wird vom Bischof gesprochen. Es handelt sich hierbei um eine Exorzisierung des Wassers; von einer eigentlichen Wasserweihe dürfte hier noch nicht die Rede sein. Das Lösen der Haare, beziehungsweise das Ablegen des Schmuckes, ist wohl deshalb gefordert, weil Haare wie Schmuck Verstecke für Dämonen bieten könnten. Nach Taufakt und postbaptismalen Riten erfolgt unmittelbar die Taufeucharistie. In dieser erhalten die Neugetauften unter anderem konsekriertes Brot und schreiten dann eine Reihe von drei Presbytern oder Diakonen ab, die jeder einen Kelch halten. Sie empfangen nacheinander Wasser, ein Milch-Honig-Gemisch und Wein. Milch und Honig verweisen auf die Erfüllung der alten Verheißung an das Volk Israel in der Wüste; es wird in ein Land geführt, wo Milch und Honig fließen (Exodus 3). Das Trinken von Wasser erinnert an das Bad der Taufe. Der innere Mensch, das heißt die Seele, soll die gleichen Wirkungen erhalten wie der Leib. Während das Trinken von Wasser Teil der Taufeucharistie ist, ist der grundsätzliche Gebrauch von Wasser anstelle von Wein in der Eucharistiefeier in der alten Kirche umstritten. Aquarier (Aquarii) wurden solche Christen genannt, die bei der Feier des Herrenmahls außer dem Brot nur Wasser gebrauchten; also nicht Wein oder, wie in der Großkirche üblich, mit Wasser gemischten Wein. Diese Praxis ist nicht nur für häretische, sondern auch für großkirchliche Kreise bezeugt.

In der alten Kirche war der Täufling stets nackt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach einer erotischen Auffassung des Taufritus. Der nackte Empfang der Taufe war nicht schon an sich erotisch, jedoch mag es nahe gelegen haben, diesen als ein Initiationsritual zu deuten, das die Sexualität heiligte und zu homosexueller Intimität einlud (John Dominic Crossan). Ob mit dem geheimen Markusevangelium (einem so genannten apokryphen Evangelium, das nach seiner Entdeckung 1958 im griechisch-orthodoxen Kloster Mar Saba südöstlich von Jerusalem in seiner fragmentarischen Gestalt 1973 von dem amerikanischen Historiker Morton Smith veröffentlicht wurde) eine solche Anspielung auf sakrale Homosexualität vorliegt, bleibt jedoch umstritten. Die Taufe wusch den neuen Christen rein.


Die Taufe Jesu, Fresco von Giotto (1303-1309) in der
Arenakapelle von Padua, Italien


Die klärende Kraft des Wassers konnte aber auch zu symbolisch übertragbarem Gebrauch führen. Aus Lichtreflexionen in Wasserbecken sollte die Zukunft lesbar werden. Erhitztes oder kaltes Wasser spielte innerhalb der Gottesurteile eine wichtige Rolle bei der Heiß- beziehungsweise Kaltwasserprobe. Obwohl umstritten, fand die Wasserprobe vom Spätmittelalter bis zur frühen Neuzeit Eingang in das Beweisverfahren des Hexenprozesses. Personen, die trotz Fesselung im Wasser nicht untergingen, galten als des crimen magiae überführt. Das Flussordal ist bereits für das alte Mesopotamien belegt (18. Jahrhundert vor Christus) und war bis zur Regierungszeit Nebukadnezars II. (Anfang des sechsten Jahrhunderts vor Christus) in Gebrauch.

Im Gegensatz zum Flussordal des Mittelalters galt hier jedoch derjenige von allen Anschuldigungen gereinigt, dem es gelang, „den Flussgott zu durchqueren“ – mitunter mit einem Mühlstein um den Hals und nach erfolgreichem Sprung in den Euphrat. Das Lukasevangelium erinnert vor allem an die elementare Bedeutung des Wassers, wenn es im Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus heißt, dass die ins Wasser getauchte Fingerspitze dem reichen Prasser zur Kühlung der Zunge versagt wird (Lukas 16). Wasser ist also nicht nur nass, sondern auch bis heute kostbar. Ein Fünftel der Menschheit hat nach wie vor keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und in einigen Jahren werden schätzungsweise zwei von drei Menschen ohne sauberes Trinkwasser leben müssen.

Seitenanfang

Das neue Bild des Planeten Mars
Erfasst mit der hochauflösenden Stereokamera HRSC

Die Vermessung des Nils im Alten Ägypten

Von Kunst-Wassern, Grotten-Sälen und Badegemächern
Wasserfreuden in der Schloss- und Gartenbaukunst der Frühen Neuzeit

„Wer hat die Wasser in ein Gewand gebunden?"
Zur Bedeutung des Wassers in der
jüdisch-christlichen Überlieferung und Tradition

Die Ganga
Zwischen Reinheit und Reinigung